Fahrtzeit als Arbeitszeit:Tariflich zu vergütende Fahrtzeiten nicht durch Betriebsvereinbarung kürzbar

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Fahrtzeit als Arbeitszeit: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 18.03.2020 entschieden, dass Regelungen in einer Betriebsvereinbarung, welche die vergütungspflichtigen Fahrtzeiten eines Außendienstmitarbeiters verkürzen, wegen Verstoßes gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam sind, wenn die betreffenden Zeiten nach den Bestimmungen des einschlägigen Tarifvertrags uneingeschränkt der entgeltpflichtigen Arbeitszeit zuzurechnen und mit der tariflichen Grundvergütung abzugelten sind.

DIe Beklagte ist als Mitglied im Vertragschließenden Arbeitgeberverband an die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Niedersachsen gebunden. Sie beschäftigt den Kläger als Außendienstmitarbeiter. Bei der Beschäftigung findet durch dynamische Bezugnahme im Arbeitsvertrag der Tarifvertrag Anwendung. In einer Betriebsvereinbarung aus dem jähre 2001 ist zu § 8 festgelegt, dass Anfahrtszeit zum ersten und Abfahrtszeiten zum letzten Kunden nur zur Arbeitszeit zählen, wenn diese 20 Minuten übersteigen. Basierend auf dieser Vereinbarung trug die Beklagte solche Reisezeiten des Klägers nicht das von ihr geführte Arbeitskonto ein und zahlte auch keine Vergütung.

Der Kläger verlangte daraufhin klageweise dem Arbeitskonto Fahrtzeiten von März bis August 2017 von 68 Stunden und 40 Minuten gutzuschreiben, hilfsweise an ihn 1.219,58 € zu zahlen.

Während die Vorinstanzen die Klage abwiesen und die Ansicht vertraten, die Beschränkung der Fahrtzeiten-Vergütung sei rechtswirksam erfolgt, sprach die Revision beim BAG dem Kläger den Anspruch zu. Der Anspruch werde durch § 8 BV nicht ausgeschlossen. Die Bestimmung regele die Vergütung der Arbeitszeit, indem sie die An- und Abfahrtszeiten zum ersten beziehungsweise vom letzten Kunden ‑ soweit sie 20 Minuten nicht übersteigen ‑ von der Vergütungspflicht ausschließt. § 8 BV betreffe damit entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts einen tariflich geregelten Gegenstand. Das BAG führte aus, dass nach dem einschlägigen Manteltarifvertrag (MTV) sämtliche Tätigkeiten, die ein Arbeitnehmer in Erfüllung seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht erbringt, mit der tariflichen Grundvergütung abzugelten sind. Bei Außendienstmitarbeitern sind dies die gesamten An- und Abfahrten zu Kunden. Die Betriebsvereinbarung, die diese Vergütung beschränkt, sei wegen des Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam, da der MTV keine Öffnungsklausel enthält.

Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG sei nicht wegen des Eingreifens eines Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 BetrVG aufgehoben. Auf Grund der Bindung der Beklagten an die fachlich einschlägigen Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Niedersachsen, welche die Vergütung für geleistete Arbeit auch in Bezug auf Fahrtzeiten der Außendienstmitarbeiter abschließend regeln, bestehe insoweit schon nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.

Der Kläger könne somit von der Beklagten die Gutschrift der umstrittenen Fahrtzeiten verlangen, soweit unter ihrer Berücksichtigung die vertraglich geschuldete regelmäßige Arbeitszeit überschritten worden sei. Ob tatsächliche eine Überschreitung vorlag konnte mangels hinreichender Feststellungen der Vorinstanz nicht entschieden werden. Das BAG wies zur Feststellung daher die Sache an das vorinstanzliche LAG zurück.

(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.03.2020 – 5 AZR 36/19)